Der Architekt als Visionär
Günther Domenig, geboren 1934 in Klagenfurt, war kein Architekt des Mittelmaßes. Bereits während seines Studiums an der Technischen Hochschule Graz zeigte sich seine Leidenschaft für das Unkonventionelle. Domenig war ein Grenzgänger zwischen den architektonischen Stilen – ein Meister, der sich weder von Modernismus noch Postmoderne kategorisch einengen ließ. Stattdessen verfolgte er eine ganz eigene, kompromisslose Vision, die er in einer Vielzahl von Projekten eindrucksvoll umsetzte.
Seine Karriere brachte ikonische Bauwerke hervor, darunter die Zentrale der Z-Bank in Wien und das Dokumentationszentrum auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Doch es war das Steinhaus, ein privates Projekt, das seine architektonische Philosophie in reinster Form widerspiegelt.
Das Steinhaus am Ossiacher See: Ein Manifest der Freiheit
Auf den ersten Blick wirkt das Steinhaus am Ossiacher See wie ein Gebäude aus einer anderen Welt. Es steht als Denkmal inmitten der malerischen Kärntner Landschaft, direkt am Ufer des Ossiacher Sees. Doch bei näherer Betrachtung entfaltet sich eine architektonische Komplexität, die weit über die herkömmliche Baukunst hinausgeht.
Das Steinhaus ist keine traditionelle Wohnstätte , sondern eine Skulptur aus Beton, Stahl und Glas. Es symbolisiert die radikale Absage an rechten Winkel und konventionelle Raumkonzepte. Brechen Sie stattdessen die Linien und Formen wie ein Puzzle auseinander und lassen Sie den Betrachter über die Grenzen von Raum und Funktion nachdenken. Innen und Außen verschmelzen auf geradezu organische Weise, wobei das Gebäude schnell eins mit der Natur zu werden scheint, ohne jedoch den Dialog mit der Umgebung zu verlieren.
Ein Bauwerk über Jahrzehnte
Der Bau des Steinhauses begann 1980 und erstreckte sich über mehr als drei Jahrzehnte. Es war ein stetiger Prozess der Veränderung, des Fortschritts und der Reflexion. Domenig sah das Steinhaus nicht nur als architektonisches Projekt, sondern als persönliches Lebenswerk , das sich kontinuierlich weiterentwickelte. Er selbstbezeichnete es als „architektonische Autobiografie“. Jedes Detail trägt seine Handschrift und spiegelt seinen kreativen Geist wider.
Im Inneren zeigt sich das Steinhaus als Labyrinth aus unterschiedlichsten Räumen, Nischen und Ebenen. Es gibt keine klare funktionale Ordnung, sondern eine bewusste Verwirrung, die den Besucher dazu zwingt, sich aktiv mit dem Raum auseinanderzusetzen. Licht dringt durch unkonventionelle Fensteröffnungen und schafft eine nahezu sakrale Atmosphäre. Beton, als dominierendes Material, wirkt hier überraschend lebendig– schnell wie eine Erweiterung der umliegenden Natur.
Architektur als emotionale Erfahrung
Was das Steinhaus so besonders macht, ist die emotionale Kraft, die es ausstrahlt. Es ist nicht nur ein Ort, den man besucht, sondern ein Raum, den man fühlt. Domenig versteht es, Architektur als sinnliche Erfahrung zu inszenieren. Der Bau fordert dazu auf, sich ihm aktiv zu nähern, ihn zu begehen, ihn zu entdecken. Jeder Raum, jede Oberfläche erzählt eine Geschichte und lädt dazu ein, inne zuhalten und nachzudenken.
Das Steinhaus ist ein Manifest der Freiheit – es zeigt, dass Architektur nicht in starren Regeln vorgeschrieben sein muss, sondern lebendig, beweglich und dynamisch sein kann. Es stellt einen künstlerischen Widerstand gegen die Gleichförmigkeit der modernen Baukultur dar und inspiriert Architekten wie Laien gleichermaßen, neue Wege zu denken.
Ein bleibendes Erbe
Günther Domenig verstarb 2012, doch sein Werk lebt weiter. Das Steinhaus am Ossiacher See bleibt eines der ikonischsten Beispiele für seine Philosophie und ist heute ein Pilgerort für Architekturbegeisterte aus aller Welt. Es zeigt eindrucksvoll, dass Architektur nicht nur zweckmäßig, sondern auch poetisch sein kann – ein Ausdruck von Individualität und künstlerischer Freiheit.
Mit dem Steinhaus hinterlässt Günther Domenig ein monumentales Erbe, das sowohl durch seine gestalterische Radikalität als auch durch seine emotionale Tiefe besticht. Es erinnert uns daran, dass Architektur weit mehr als das Bauen von Strukturen ist – sie ist Kunst, Vision und menschliche Erfahrung zugleich.